In der Pädagogik und auch privat haben wir immer wieder mit herausfordernden Menschen zu tun. Dabei macht sich Stress breit und schnelle Entscheidungen werden uns abverlangt. Dirk Fiebelkorn erklärt, warum es in solchen Situationen viel wichtiger ist, wie wir sind, als was wir machen.
Fünf Wege zur Beziehungsarbeit

Dirk Fiebelkorn ist ein deutscher Coach, Speaker und Buchautor, der sich intensiv mit der Beziehungsarbeit in der Pädagogik beschäftigt. Er war bei der Wiener Gesundheitsförderungskonferenz 2024 zu Gast. Dabei schilderte er, wie wirkungsvolle Beziehungsarbeit auch mit herausfordernden Jugendlichen erreicht werden kann.
Ohne Beziehung keine Veränderung
Die anderen wirklich zu sehen und so zu Beziehungsangeboten zu kommen, ist bei der Arbeit mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen zielführend und möglich. Damit Veränderungen stattfinden können, ist Beziehung unbedingt notwendig. „Bei allem, was wir mit Kindern und Jugendlichen tun, steht am Ende eine Beziehung. Dabei ist nicht nur wichtig, wer die Jugendlichen sind, sondern wie Sie selbst sind,“ erklärte Fiebelkorn bei der Wiener Gesundheitsförderungskonferenz 2024. Nur dann können wir Beziehungsangebote machen, die angenommen werden. Der Weg dorthin kann aber durchaus schwierig sein. Jugendliche wirklich zu sehen, bedeutet, ihre Perspektive einzunehmen sowie ihre Bedürfnisse und Interessen zu erkennen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns von den jeweiligen Situationen nicht überfordern lassen. Hier finden Sie fünf Faktoren, die Ihnen helfen können, wirkungsvolle Beziehungsangebote zu machen.
- Prozessorientierung
Eine prozess- statt einer zielorientierten Haltung ist in der pädagogischen Arbeit von Vorteil. Denn, so Fiebelkorn: „Die Wirksamkeit liegt im Prozess selbst.“ Wer immer auf Ziele zusteuert, muss sich sehr anstrengen und oft lange warten, um Wirkung zu erzielen. Wer sich auf den Prozess konzentriert, erlebt schon durch die nicht auf ein bestimmtes Ergebnis ausgerichteten Erwartungen wesentlich mehr positive Fortschritte. Teilerfolge werden wahrgenommen und motivieren weiter. Die Prozessorientierung braucht auch weniger Kraft und persönliche Ressourcen als das ständige Ausgerichtetsein auf ein oft fernes schwer erreichbares Ziel.
- Stressbewältigung
Wenn wir mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen arbeiten, kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Stress entsteht. Das lässt sich nicht vermeiden. Stress raubt uns aber genau die Energie, die wir brauchen würden, um mit der Situation fertig zu werden. Wie wir mit Stress umgehen, ist ein Aspekt, der bei herausfordernden Gegenübern die Arbeit erleichtern kann. Dazu müssen wir uns bewusst machen, wo Stress entsteht. Er kommt nämlich nicht von außen, sondern bildet sich immer in uns. Und zwar dann, wenn die Außenwelt nicht so ist, wie wir sie gerne hätten. Das kann natürlich immer wieder passieren. Stress lässt sich auch nicht abschalten. „Wenn wir aber erkennen, dass Stress durch das Missverhältnis zwischen inneren Erwartungen und äußeren Realitäten entsteht, können wir uns bewusst entscheiden, unsere äußeren Umstände zu verändern oder unsere Erwartungen anzupassen“, meint dazu Fiebelkorn.
- Fokussierung
„Disziplin ist dazu da, um eine Brücke zu schaffen, und zwar in dem Bereich, wo es nicht anders geht. Wenn ich die ganze Zeit mit meiner eigenen Disziplin arbeite, kann ich irgendwann nicht mehr,“ erklärt Fiebelkorn. Disziplin zu halten, ist sehr kräfteraubend und daher für ihn nicht die beste Methode. Er empfiehlt, den Schwerpunkt in der Arbeit auf Fokussierung zu legen. „Fokus sorgt dafür, dass wir Aufgaben mit maximaler Effizienz und Effektivität ausführen, was oft zu besseren und nachhaltigeren Ergebnissen führt“, sagt Fiebelkorn. Wenn wir fokussiert sind, richten wir unsere volle Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich. Das bündelt unsere Energie. Fiebelkorn vergleicht Fokus mit dem körperlichen „festen Stand“. Fokus bringt nicht nur bessere Ergebnisse, sondern braucht auch weniger unserer Energie als Disziplin.
- Intuitive Intelligenz
Unser Unterbewusstsein nimmt Informationen ungleich schneller auf als unser bewusstes Denken. Aus der Neurowissenschaft kommt die Veranschaulichung als Streckenmetapher: Wenn die Menge unserer bewussten Wahrnehmung auf einer Strecke mit 15 Millimeter abgebildet würde, ständen dem 11 Kilometer unbewusster Wahrnehmung gegenüber. Damit soll nicht gesagt werden, dass die bewusste Wahrnehmung nicht wichtig sei. Wir brauchen sie unbedingt, um Eindrücke zu filtern und in der Folge zu reflektieren. In Situationen, in denen schnelles Handeln erforderlich ist, ist aber die Intuition in ihrer Geschwindigkeit nicht zu schlagen. Wenn Jugendliche uns (heraus)fordern, fehlt oft die Zeit zum Nachdenken. Die Folge müssen rasche „Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ sein. Fiebelkorn nennt das „intuitive Kompetenz“. Er unterscheidet aber zwischen nur intuitiv getroffenen Entscheidungen und intuitiver Kompetenz. Denn rein intuitiv zu entscheiden, wäre nicht professionell. Intuitive Kompetenz bedeutet schnelle Reaktion durch Intuition, aber bei gleichzeitiger permanenter Reflexion. Das heißt „aus dem Bauch raus, aber immer wieder mit Checkup“. Zurückgegriffen wird dabei unbewusst auf Erfahrenes, Reflektiertes und Gelerntes.
- Nähe und Distanz
In der Beziehungsarbeit bedeutet Assoziation, sich in andere hineinzuversetzen, als wären wir selbst beteiligt. Dissoziation hingegen ist eine distanzierte Haltung mit wenig emotionaler Involvierung. Um Beziehungen aufzubauen und Konflikte zu verstehen, ist eine assoziative Position von Vorteil. Assoziation bringt beiderseitiges Interesse. „Wenn ich wirklich interessiert bin, habe ich die größte Möglichkeit für einen Change-Prozess,“ ist Fiebelkorn überzeugt. Regeln werden dadurch aber nicht aufgeweicht. Auf der anderen Seite hilft Dissoziation, Situationen zu reflektieren. Außerdem können wir uns dadurch bei Bedarf persönlich abgrenzen. Der gezielte Wechsel zwischen diesen beiden Positionen bietet große Flexibilität für die Beziehungsarbeit.
Beziehungsangebote, die wirken
Am Ende all dieser Überlegungen steht das Ziel, durch tragfähige Beziehungen Wirkung zu erzielen. „Wenn wir in der Lage sind, eine starke Bindung aufzubauen, steigt unsere Wirksamkeit erheblich, da die andere Person sich gesehen und unterstützt fühlt“, betont Fiebelkorn die Bedeutung guter Beziehungsarbeit. Fühlt sich das Gegenüber gesehen, können Beziehungsangebote gemacht werden, die wirken. Diese können sehr unterschiedlich sein. Sie können über gemeinsame Erlebnisse, Videospiele, Sport usw. gehen. Denn nicht irgendwelche starren Regeln, sondern die Beziehungsbedürfnisse des Gegenübers, geben die Richtung vor.