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Krankheitsbilder

Essstörungen sind keine Ernährungsstörungen, die durch „richtiges“ Essen gelöst werden können. Sie sind ernstzunehmende psychische Erkrankungen. Betroffene drücken so Probleme aus, die sie auf der seelischen Ebene kaum oder nur schwer verarbeiten können. Expert*innen sprechen daher von einem „Hilferuf der Seele“

  • Wenn das eigene Wohlbefinden vom Körpergewicht abhängt ...
  • Wenn Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl fehlen ...
  • Wenn das Urteil der Außenwelt die Selbstachtung bestimmt ...
  • Wenn Liebe durch Perfektion „erkauft“ werden muss ...
  • Wenn der eigene Körper ständig abgelehnt wird ...

... dann kann dies zu einem krankhaften Essverhalten führen.

Das Leben der Betroffenen kreist dann zwanghaft um Essen oder Nicht-Essen. Unbeschwertes Genießen, gesunder Appetit und Hunger sind unmöglich oder nur schwer erfahrbar. Essen ist dann mit Scham- und Schuldgefühlen, der Angst zuzunehmen und dem Gefühl zu versagen verbunden.

Nicht-Essen bedeutet im Gegenzug dazu Stolz, Unabhängigkeit und Macht. Das eigene Wohlbefinden wird von der Kontrolle des Essverhaltens abhängig gemacht. Essen wird dann vom Lebensmittel zum Lebensinhalt.

Krankheitsbild

Allgemein werden als Essstörungen alle „im weiteren Sinne von der Norm abweichenden Auffälligkeiten des Essverhaltens, die zu psychischen Störungen und Veränderungen des Körpergewichts führen“ verstanden.

In den internationalen Klassifikationssystemen werden folgende Essstörungen definiert:

  • Anorexia nervosa – Magersucht
  • Bulimia nervosa – Ess-Brech-Sucht
  • Binge Eating Disorder – Esssucht
  • Nicht näher bezeichnete Essstörungen

Arten von Essstörungen

Magersucht (Anorexia nervosa, Anorexie) ist eine Krankheit mit selbst herbeigeführtem, starkem Gewichtsverlust und einer ständigen Auseinandersetzung der Betroffenen mit dem Thema Essen. Man spricht von Magersucht, wenn der BMI (Body-Mass-Index) einer Person auf unter 17,5 kg/m² fällt. Die Betroffenen haben große Angst vor Gewichtszunahme und nehmen ihren eigenen Körper (Gewicht, Größe, Form) oftmals ganz anders wahr als ihre Umgebung. Sie haben Angst zuzunehmen, auch wenn sie stark untergewichtig sind. Magersucht-Kranke betrachten sich als zu dick und legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle als persönliches Idealgewicht fest. Sie vermeiden „dick machende“ Speisen oder essen über einen längeren Zeitraum nichts. Ein weiteres Kennzeichen der Magersucht ist die laufende Suche nach Selbstbestätigung.

Anorexia nervosa kann in besonders schweren Fällen lebensgefährlich sein. Sie ist die psychische Krankheit mit der höchsten Sterblichkeitsrate.

Die körperlichen Folgeschäden

  • Absinken von Puls, Blutdruck und Körpertemperatur
  • Osteoporose (Knochenschwund)
  • Herz- und Kreislaufprobleme
  • Müdigkeit
  • Konzentrationsstörungen
  • Ausbleiben der Menstruation (bei Mädchen und Frauen)
  • Potenzverlust (bei Burschen und Männern)
  • Verstopfung
  • Brüchige Haare
  • Zahnschäden
  • Veränderung der Körperbehaarung
  • In schweren Fällen besteht Lebensgefahr

Von Bulimie Betroffene haben ein unkontrolliertes Verlangen nach Essen, regelmäßige Essanfälle und gleichzeitig große Angst dick zu sein oder zu werden. Sie versuchen daher, durch selbstinduziertes Erbrechen, Fastenkuren, übermäßige körperliche Betätigung oder die Einnahme von Abführmitteln, Appetitzüglern oder anderen Medikamenten Gewicht zu verlieren. Sie nehmen sich selbst als zu dick wahr und beschäftigen sich ständig mit Fragen um Essen, Figur und Gewicht.

Heißhungerattacken, bei denen große Mengen an Nahrung in sehr kurzer Zeit gegessen werden, sind typisch für Bulimie. Anschließend wird versucht, mit gegensteuernden Maßnahmen alles wieder ungeschehen zu machen. Die Betroffenen haben dabei das Gefühl, ihr Essverhalten nicht unter Kontrolle zu haben. Betroffene sind oftmals nach außen hin selbstbewusste Menschen, die eine innere Leere empfinden.

Bulimie tritt dreimal häufiger auf als Magersucht. Die höchste Anzahl von Neuerkrankungen findet sich bei Frauen zwischen 20 und 24 Jahren. Doch auch Männer können von Bulimie betroffen sein.

Die körperlichen Folgeschäden

  • Schwellungen der Speicheldrüsen
  • Schäden am Zahnschmelz
  • Einrisse der Speiseröhre
  • Schäden an Magenwand und Nieren
  • Herzrhythmusstörungen
  • Ausbleiben der Monatsblutung

Bei Binge Eating Disorder haben Betroffene regelmäßige Essanfälle. Sie essen dabei deutlich mehr Nahrung, als die meisten anderen Leute im selben Zeitraum zu sich nehmen würden. Sie essen auch dann, wenn sie keinen Hunger haben oder sich bereits unangenehm voll fühlen. Sie haben während der Essanfälle oftmals ein Gefühl des Kontrollverlusts. Das übermäßige Essen ist meist ein Versuch, mit unangenehmen oder belastenden Gefühlen (Angst, Trauer, Einsamkeit, Selbstzweifel) zurechtzukommen. Das Körpergewicht der Betroffenen schwankt oft, mitunter kann es auch zu (starkem) Übergewicht kommen.

20 % bis 30 % aller übergewichtigen Menschen, die Behandlung suchen, leiden an Binge Eating Disorder. Zwei Drittel davon sind Frauen.

Die körperlichen Folgeschäden

  • Überbelastung des Herzens und des Kreislaufs
  • Überbelastung des Skeletts
  • Schäden an der Leber
  • Diabetes
  • Gelenksleiden
  • Schlaganfall
  • Herzinfarkt

Unter diesem Krankheitsbild werden jene Essstörungen zusammengefasst, die Mischformen aus unterschiedlichen Diagnosen darstellen und nicht eindeutig einem bestimmten Störungsbild zuzuordnen sind.

Folgende Fälle gehören dazu:

  • Sämtliche Kriterien der Magersucht sind erfüllt, aber das Körpergewicht der Person liegt trotz erheblichen Gewichtsverlustes noch im Normalbereich.
  • Die regelmäßige Anwendung unangemessener, einer Gewichtszunahme gegensteuernder Maßnahmen durch eine normalgewichtige Person nach dem Verzehr kleiner Nahrungsmengen (z .B. selbst herbeigeführtes Erbrechen nach dem Verzehr von zwei Keksen).
  • Wiederholtes Kauen und Ausspucken großer Nahrungsmengen, ohne sie hinunterzuschlucken.

Ursachen und auslösende Faktoren

Es gibt immer mehrere Ursachen für eine Essstörung: familiäre, persönlich-individuelle, biologische, aber auch gesellschaftliche und soziokulturelle Ursachen. Ein gesellschaftlicher Schlankheits- und Jugendkult kann ein Mitauslöser für eine Essstörung sein.

Mediale Bilder, die Fitness und Schlankheit propagieren, eine bestimmte Körperästhetik vermitteln und diese mit Anerkennung, Erfolg, Glück und Selbstwert verknüpfen, können fatale Folgen haben. Sich diesen – scheinbar Erfolg verheißenden – Idealen äußerlich anzunähern, kann sich zu einer Lösungsstrategie für innere Konflikte entwickeln. Die körperliche Erscheinung wird eng mit psychischen Befindlichkeiten verbunden: liebenswert, begehrenswert und anerkannt zu sein. Dieser Gedanke kann schnell den Weg in eine Essstörung ebnen.

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper gilt als Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung. Sie ist in westlichen Industrieländern eindeutig höher als in sogenannten Entwicklungsländern. Diäten stehen meist am Beginn einer Essstörung.

Männer und Essstörungen

Essstörungen treten bei Männern wesentlich seltener auf als bei Frauen. Auf zehn Frauen mit Anorexie sowie vier Frauen mit Bulimie kommt ein Mann. Frauen streben meist mit Diäten nach Schlankheit. Männer tendieren eher dazu, über Sport ihren Körper zu formen. Wenn Männer ihre Ernährung einschränken, ist oft tatsächliches Übergewicht die Ursache. Dies kann jedoch zur Entwicklung einer Essstörung führen.

Eine besondere Form der Essstörung bei Männern ist die Muskeldysmorphie (Biggerexie, auch Adoniskomplex oder Muskelsucht genannt). Betroffene halten sich für zu schmächtig, trainieren exzessiv und bemühen sich um einen besonders muskulösen Körperbau. Diese Bemühungen enden schließlich in einer Art Zwang. Die Erkrankten schrecken dann auch vor übermäßigem Sporttreiben, Diäten und leistungssteigernden Substanzen wie Anabolika nicht zurück. Die Störung der Wahrnehmung des eigenen Körperbilds kann so weit gehen, dass sich sogar ein ausgeprägt muskulöser Bodybuilder als zu schmächtig empfindet. Die genauen psychischen und physiologischen Ursachen der Muskelsucht, die einige Psycholog*innen auch als übersteigerten Narzissmus beschreiben, sind noch weitgehend unerforscht.

Folgende Faktoren beeinflussen die Entstehung von Essstörungen

  • Soziokulturelle Faktoren: Schlankheitsideal, starre Geschlechterrollen
  • Familiäre Faktoren: Schwierige innerfamiliäre Beziehungen
  • Individuelle und Persönlichkeitsfaktoren: Pubertät, niedriges Selbstwertgefühl, starke Leistungsorientierung, niedrige Frustrationstoleranz, schlankes Schönheitsideal
  • Biologische Faktoren: Hormonstörungen bei Hunger- und Sättigungsregulation, biologisch höheres Gewicht bei normaler Nahrungsaufnahme